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Category: Arbeit + Personal
| 09:17 Uhr

Arbeitsrecht: Verfall und Verjährung von Urlaubsansprüchen nach BAG – Was gilt jetzt?


Urlaubsrecht ist kompliziert. Das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) enthält einige schwer verständliche und missverständliche Regeln. Kaum jemand ahnt bei der Lektüre von § 3 BUrlG, dass sich der Anspruch von 24 Urlaubstagen im Jahr auf eine 6-Tage-Woche bezieht, und zu Entstehung und Umfang von Urlaubsansprüchen in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung halten sich hartnäckige Fehlvorstellungen, die durch die umständliche Formulierung von § 5 BUrlG eher befeuert als gelindert werden. Da erscheint die Regelung in § 7 Abs. 3 BUrlG zur Übertragung von Urlaub ins Folgejahr als klar formulierte, jedermann verständliche Bestimmung: Urlaub muss im laufenden Jahr genommen werden, kann ausnahmsweise in die ersten drei Monate des Folgejahrs übertragen werden und verfällt, wenn er bis dann nicht genommen wird, weitere Ausnahmen sieht der Gesetzestext nicht vor.

 Es könnte so einfach sein, wenn nicht das Bundearbeitsgericht (BAG) und der Europäische Gerichtshof (EuGH) diese Regel mit zahlreichen ungeschriebenen Ausnahmen durchsetzt hätten. Erst gestern hat das BAG dem ein weiteres Kapitel hinzugefügt.

 

Was galt bisher?

 Es gilt – man mag es aufgrund der Vielzahl von Entscheidungen zum Verfall von Urlaubsansprüchen nicht für möglich halten – tatsächlich der Grundsatz, dass Urlaub im laufenden Jahr genommen werden muss. Die in § 7 Abs. 3 BUrlG enthaltene Grundregel ist tatsächlich ernst gemeint und Urlaub kann grundsätzlich nur auf das nächste Kalenderjahr übertragen werden, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe vorliegen. Es gibt aber zwei ungeschriebene Fallgruppen von Ausnahmen, nämlich die dauerhafte Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers einerseits und die mangelnde Ermöglichung der Urlaubsnahme durch den Arbeitgeber anderseits.

 Für den Fall, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Inanspruchnahme seines Urlaubs nicht ermöglicht, hat der EuGH festgestellt, dass die Urlaubsansprüche nicht verfallen. Er muss den Arbeitnehmer in die Lage versetzen, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen (EuGH, 29.11.2017 – C-214/16). Hierzu gehört, dass er den Arbeitnehmer nachweislich über den drohenden Verfall der Urlaubsansprüche informiert und ihn auffordert, den Urlaub zu nehmen (EuGH, 06.11.2018 – C-619/16). Kommt der Arbeitgeber dem nicht nach, verfällt der Urlaubsanspruch nicht.

 Im Fall einer Langzeiterkrankung gilt abweichend vom Gesetzeswortlaut, dass der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers auch über den 31. März des Folgejahres hinaus fortbesteht, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub nicht nehmen kann. Dies gilt allerdings höchstens 15 Monate nach Beendigung des Urlaubsjahrs. Hat der Arbeitnehmer den Urlaub dann nicht genommen, verfällt der Anspruch, auch wenn der Arbeitnehmer zur Inanspruchnahme des Urlaubs wegen der anhaltenden Erkrankung überhaupt nicht in der Lage war (BAG, 18.09.2012 – 9 AZR 623/10).

 

Was ist neu?

 Das Bundesarbeitsgericht hat nun zu der Konstellation entschieden, dass ein Arbeitnehmer einerseits aufgrund einer Langzeiterkrankung an der Inanspruchnahme seines Urlaubs verhindert ist, andererseits der Arbeitgeber ihn nicht über den Verfall des Urlaubs aufgeklärt hat. Es kommt je nach Fallgestaltung zu unterschiedlichen Ergebnissen:

  • Hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht über den Verfall des Urlaubs aufgeklärt und ihm die Inanspruchnahme des Urlaubs nicht ermöglicht, verfällt der Urlaub für das laufende Jahr auch dann nicht, wenn der Arbeitnehmer während dieses Jahres längerfristig erkrankt und in der Folge den Urlaub nicht nehmen kann.
  • Ist hingegen der Arbeitnehmer während eines gesamten Jahres arbeitsunfähig, verfällt er Urlaubsanspruch für dieses Jahr auch dann nach Ablauf von 15 Monaten nach Ende des Jahres, wenn der Arbeitgeber ihn nicht aufgeklärt hatte, da sich die Pflichtverletzung des Arbeitgebers nicht auf die Inanspruchnahme des Urlaubs auswirken konnte

(BAG, 20.12.2022 – 9 AZR 245/19).

 Ebenfalls am 20.12.2022 hat das BAG entschieden, dass die infolge mangelnder Aufklärung und Aufforderung des Arbeitgebers nicht verfallene Urlaubsansprüche zwar der Verjährung unterliegen. Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt aber nicht bereits mit Ablauf des Urlaubsjahrs zu laufen, sondern erst mit Ablauf des Jahres, in dem der Arbeitgeber seinen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten nachkommt (Az.: 9 AZR 266/29).

 

Was ist in der Praxis ratsam?

 Für Arbeitnehmer ist die Rechtslage komfortabel: damit ihr Anspruch auf nicht genommenen Urlaub nicht verfällt, müssen sie zunächst einmal nichts tun. Dies ändert sich erst dann, wenn ein Hinweis des Arbeitgebers auf den Verfall des Urlaubs und eine Aufforderung zur Inanspruchnahme des Urlaubs folgen.

Für Arbeitgeber bleibt es ratsam, ein System zu implementieren, das gewährleistet, dass jeder Arbeitnehmer über den Verfall von Urlaubsansprüchen informiert und zur Inanspruchnahme des Urlaubs aufgefordert wird. Der Kreativität sind hierbei kaum Grenzen gesetzt, das System muss aber den gerichtsfesten Nachweis gewährleisten, dass Hinweis und Aufforderung erfolgten. 

Wir beraten Sie zu allen Aspekten des Arbeitsrechts. Nehmen Sie gerne unverbindlich Kontakt zu uns auf (Ansprechpartner: RA Johannes Zimmermann)!