Arbeitsrecht: Erschütterter Beweiswert „passgenauer“ Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen – Verdächtige Krankschreibung – Neues vom Bundesarbeitsgericht (13.12.2023 – 5 AZR 137/23)
Passgenaue und verdächtige Krankschreibung – worum geht es?
In einer perfekten Welt würden sich Arbeitnehmer nur dann krankschreiben lassen, wenn sie auch wirklich arbeitsunfähig sind. In dieser perfekten Welt würden Arbeitgeber ihrem Arbeitnehmer eine gute Besserung wünschen und ohne Beanstandung den Lohn fortzahlen.
Nun ist die Welt aber nicht perfekt und manch ein Arbeitnehmer lässt sich krankschreiben obwohl er durchaus arbeitsfähig ist. Beliebte Zeitpunkte zum Krankfeiern sind die Tage vor bzw. nach Wochenenden oder eben auch zwischen dem Ausspruch einer Kündigung und dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Manch einem Arbeitgeber ist eine solch auffällige Krankschreibung ein Ärgernis, weshalb er die Lohnfortzahlung verweigert.
Nun ist die Welt aber auch nicht so schlecht, dass jede Arbeitsunfähigkeit zu auffälligen Zeiten nur vorgetäuscht ist. Man wird Arbeitnehmern zugestehen müssen, auch zu solchen Zeiten einfach wirklich krank zu werden, zu denen es verdächtig aussieht. Ob Krankschreibungen in solchen Zeiträumen überwiegend zu Recht oder zu Unrecht ausgestellt werden, wird immer Gegenstand von Spekulationen bleiben – empirische Untersuchungen hierzu sind nicht bekannt. Gerade bei Krankschreibungen nach Arbeitgeberkündigungen ist die Grenze fließend: Für manchen Arbeitnehmer stellen solche Kündigungen traumatische Erfahrungen dar, die zur echten Arbeitsunfähigkeit führen, während sie für andere „nur“ eine Kränkung bedeuten, auf erlittenes vermeintliches Unrecht mit eigenem Unrecht zur reagieren.
Was war bisher?
Eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat einen hohen Beweiswert. Legt der Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeit vor, hat der Arbeitgeber nur zwei Möglichkeiten: Er muss entweder darlegen, dass sei nicht ordnungsgemäß ausgestellt ist, oder er muss deren Beweiswert erschüttern, d.h. Umstände darlegen, die nahelegen, dass der Arbeitnehmer entgegen der Bescheinigung eben doch nicht arbeitsunfähig ist.
Was ist neu?
Das Bundesarbeitsgericht hatte in jüngerer Vergangenheit Gelegenheit, zu Fallgruppen zu entscheiden, in denen allein die Lage des Krankheitszeitraums Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründeten. Bereits vor zwei Jahren entschied es, dass dann, wenn die angebliche Arbeitsunfähigkeit unmittelbar am Tag der Kündigung beginnt und genau die Restdauer des Arbeitsverhältnisses abdeckt, ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit geboten sind. In diesem Rahmen entschied es auch, dass es unerheblich ist, ob die Kündigung vom Arbeitnehmer ausgeht oder der Arbeitgeber kündigt (BAG, 08.09.2021 - 5 AZR 149/21).
Dies soll nach der jüngsten Entscheidung auch dann gelten, wenn zwar der Beginn der Arbeitsunfähigkeit nicht mit dem Datum der Kündigung korreliert, die Arbeitsunfähigkeit aber bis exakt zum Ende des Beschäftigungsverhältnisses andauern soll, wenn unmittelbar im Anschluss darauf das neue Beschäftigungsverhältnis des Arbeitnehmers beginnt.
Was folgt daraus?
Der Entfall der Beweiskraft des „gelben Scheins“ bedeutet für den Arbeitnehmer noch nicht den Prozessverlust. Ihm bleibt die Möglichkeit des anderweitigen Beweises seiner Arbeitsunfähigkeit, am besten über den behandelnden Arzt. Da dieser aber nur das wahrheitsgemäß bekunden kann, was er selbst beobachtet hat, kommt er nur dann als tauglicher Zeuge in Betracht, wenn er den Arbeitnehmer auch tatsächlich und selbst untersucht hat. Wer also als Arbeitnehmer im Anschluss an eine Kündigung erkrankt, sollte sich unbedingt persönlich vom Arzt untersuchen lassen. Endet etwa eine telefonische Krankschreibung zufällig mit Ende des Arbeitsverhältnisses, kann die Beweislage für den Arbeitnehmer sehr dünn werden.